Intakte Moore sind meist uralt und meterdick. Sie bieten seltenen
Tier- und Pflanzenarten Lebensraum und speichern in ihrem Moorkörper
enorme Mengen an Wasser und Kohlenstoff. Doch die überwiegende
Mehrheit der Moore in Deutschland ist ausgetrocknet
und kann diese Funktionen nicht mehr erfüllen. An einem Niedermoor
in der Uckermark erprobten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
die Wiedervernässung jetzt erstmals mit Hilfe einer
ungewöhnlichen Ressource: gereinigtem Abwasser aus Kläranlagen.
Ringsum Grünland und Äcker, soweit das Auge reicht, dazwischen einige kleine
Dörfer und Wälder: Aus der Vogelperspektive wird inmitten der Landschaft
eine rechteckige Fläche sichtbar, die von Schilf bewachsen ist. Wassergräben
und zwei kleine Teiche begrenzen das rund zehn Hektar große Areal. Es ist der
Rest eines einst intakten Niedermoors in Brandenburg. Irgendwann hat man
Entwässerungsgräben angelegt, um den Grundwasserspiegel zu senken und
die umliegenden Böden bewirtschaften zu können. Dem Niedermoor wurde
das Wasser abgegraben. Jahrzehntelang trocknete es vor sich hin. In den 1990er
Jahren erweckte das Gebiet die Aufmerksamkeit der Forschung und Versuchsflächen
entstanden − auch, um die Folgenutzung für solche ausgetrockneten
Moore besser erproben zu können.
Im Jahr 2011 startete das aus Bundesmitteln geförderte Projekt »ELaN«, in
dem Forschende des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V.
eine Chance sahen, das Moor mit einer ungewöhnlichen Idee wiederzubeleben:
Gereinigtes Abwasser aus einer naheliegenden Kläranlage sollte dem Lebensraum
die benötigte Feuchtigkeit zurückgeben und den Wasserhaushalt stabilisieren.
Verschwendung von Abwasser
»Das Wasser aus Kläranlagen wird üblicherweise in Gräben oder Flüsse geleitet,
um es möglichst schnell aus der Landschaft zu befördern. So soll verhindert
werden, dass es in den Boden sickert und das Grundwasser verunreinigt«, sagt
Dr. Sebastian Maaßen vom ZALF. Denn wenn dieses aus der Kläranlage kommt,
enthält es noch immer zahlreiche Schadstoffrückstände und Nährstoffe, die
nun über die Flüsse in die Meere gelangen. Stattdessen ließe sich dieses Wasser
sinnvoller verwenden. »Man könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen:
ausgetrocknete Moore bewässern und gleichzeitig das Abwasser gründlicher
reinigen.« So auch das Abwasser der nahegelegenen Kläranlage in Passow. Analysen
wiesen hier mindestens 67 Mikroschadstoffe nach – hauptsächlich Rückstände
aus Medikamenten oder Kosmetika. »Die Spurenstoffe verraten uns viel
über die soziale Struktur der Region«, verrät Maaßen. In Berlin gebe es etwa
mehr Rückstände von Antibaby-Pillen, hier in der Uckermark dagegen mehr
Schmerzmittel und Süßstoffe. Auch Korrosionsstoffe oder Röntgenkontrastmittel
fanden die Forschenden im Passower Abwasser. All diese Stoffe dürfen
nicht ins Grundwasser gelangen. Nun galt es herauszufinden, ob das Moor sie
daran hindert.
Das Niedermoor in der Uckermark bot eine ideale Versuchsfläche. »Der
ausgetrocknete Moorkörper ist zwar nicht mehr intakt, enthält aber immer noch
Moorwiedervernässung Bedingungen
für den Abbau zahlreicher Rückstände. Auch, weil das Wasser dort
lange verweilen kann, bevor es die umliegenden Gräben und das Grundwasser
erreicht. Zudem leben viele Mikroorganismen im Moorboden, die zusätzlich
Stoffe aus dem Abwasser entfernen. Für den Pilotversuch verdünnten Maaßen
und sein Team das Abwasser aus der Kläranlage Passow mit der zehnfachen
Menge Oberflächenwasser, um das Moor über drei Jahre kontrolliert und unter
strengen Auflagen wieder zu bewässern. Die Inhaltsstoffe im Abwasser, im Boden
und Grundwasser der Versuchsfläche wurden ständig beobachtet und analysiert.
Die Ergebnisse sprechen für sich: »Im Abwasser unserer Kläranlage konnten
wir noch zahlreiche unerwünschte Stoffe nachweisen, die im Grundwasser
unsers Versuchsstandorts – also nach der »Reinigung« durch das Moor − dann
verschwunden waren«, so Maaßen. Offenbar hat das Moor die Stoffe »geschluckt
und verdaut«. Welche Prozesse dafür verantwortlich sind, kann noch nicht exakt
beschrieben werden. Mikroorganismen, Pflanzen oder das Sonnenlicht – die
Einflüsse der einzelnen Abbauwege sind vielfältig. Einige Rückstände sind aber
auch im Torf, also dem Moorboden, gebunden. Sogenannte Toxizitätstests mit
Pflanzen, Bakterien, Ringelwürmern und weiteren Organismen stimmten dabei
aber optimistisch: Sie zeigten keine negativen Auswirkungen des behandelten
Abwassers auf das Bodenleben.
Auf dem Trockenen
Aus ökologischer Sicht spricht also scheinbar nichts gegen Moorwiedervernässung
mithilfe von gereinigtem Abwasser aus Kläranlagen. Hierzu bedarf
es aber weiterer Forschung. Das Problem: seit 2015 steht die Versuchsanlage
wieder auf dem Trockenen. Es mangelt an Geld für die Pumpen. Doch es gibt
Hoffnung: »Die Michael Succow Stiftung möchte hier eventuell den Anbau von
nachwachsenden Rohstoffen und deren Verwertung testen«, berichtet Maaßen.
Denn galten intakte Moore aufgrund des hohen Grundwasserstandes früher als
wirtschaftlich nicht verwertbar, gibt es heute sehr wohl Ideen für eine naturverträgliche
Nutzung. So kann hier Schilf angebaut werden, das als Biomasse für
Energiegewinnung genutzt wird. Wasserbüffel finden auf den Flächen hervorragende
Bedingungen, ebenso wie die Schwarzerle, die wertvolles Holz liefert.
»Das Thema wird in Zukunft an Brisanz gewinnen«, ist sich Maaßen
sicher. Denn in vielen Gebieten Deutschlands – besonders im Nordosten – ist
das Wasser in der Landschaft schon heute knapp. Vorwiegend sandige Böden
lassen es schnell versickern und die Landbewirtschaftung legte bislang wenig
Wert auf die Speicherung von Wasserressourcen. Der Klimawandel wird das
Problem weiter verschärfen. Das Schließen von Wasserkreisläufen könnte helfen,
natürliche Wasserspeicher und kostbare Lebensräume wie das Niedermoor
in der Uckermark zu erhalten.
Text: Heike Kampe
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