Land ist eine endliche Ressource. Wir benötigen es, um Nahrungsmittel anzubauen, Energie zu erzeugen, Häuser zu bauen oder Rohstoffe zu gewinnen. Nicht zuletzt ist es der Lebensraum von Pflanzen und Tieren, den es zu schützen gilt. Wie kann es gelingen, alle diese konkurrierenden Nutzungsformen miteinander in Einklang zu bringen? Welche innovativen Konzepte kommen tatsächlich in der Praxis an? Mit diesen Fragen beschäftigen sich bundesweit neun Innovationsgruppen, die Forschung und Praxis miteinander verknüpfen. Ein Team aus Brandenburg begleitet das Vorhaben aus Sicht der Wissenschaft.
Im Örtchen Göritz im Spreewald steht, etwas versteckt an der Hinterwand einer Scheune eines landwirtschaftlichen Betriebs, ein grünes Ungetüm aus Blech und Stahl. Durch ein Guckloch in der Vorderluke schaut man in ein glühendes Inferno, dessen Hitze spürbar ist. Die Strukturen des hier verbrennenden Materials sind gerade noch erkennbar. Es sind Ballen aus Heu. Dieser »Heuofen« ist das Ergebnis eines langwierigen Prozesses und eines jahrzehntewährenden Konfliktes. Er ist ein Zeichen der Veränderung – und des Kompromisses. Ob er auch das Problem löst, für das er entwickelt wurde, muss sich erst noch zeigen. Überall in Deutschland gibt es Konflikte, die ihren Ursprung in der Landnutzung haben. Für den Siedlungsbau, Autobahnen und Fabriken weichen Gärten, Äcker oder Wiesen. Die Flächen, die dafür verbraucht werden, umfassen mehr als 60 Hektar. Und zwar jeden Tag. Im Jahr summiert sich das auf über 220 Quadratkilometer. Auch anderweitig kann Land zum Streitpunkt werden: Die mit der Energiewende entstandenen Windkraftanlagen, die Konkurrenz zwischen dem Anbau von Nahrungsmitteln und Energiepflanzen auf den Feldern oder die Gestaltung des Tempelhofer Feldes in Berlin, um die jahrelang gerungen wurde – die Interessen prallen aufeinander. Oft ziehen sich tiefe Gräben zwischen den verschiedenen Akteuren. Die Politik beginnt gegenzusteuern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung rief daher im Jahr 2014 einen neuen Forschungsansatz ins Leben. Neun »Innovationsgruppen für ein Nachhaltiges Landmanagement« suchen seitdem nach Wegen, Landnutzungsinteressen in Einklang zu bringen – gemeinsam mit den Menschen vor Ort.
Ideen für einen neue Landnutzung
Und das ist das Besondere: Die neun Forschergruppen setzen nicht allein auf die Wissenschaft. »Die Probleme stammen direkt aus der Praxis«, erklärt Dr. Jana Zscheischler. Sie und ihr Kollege Sebastian Rogga begleiten am Leibniz- Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in Zusammenarbeit mit dem inter3 Institut für Ressourcenmanagement die Arbeit der Gruppen aus wissenschaftlicher Sicht. Sie untersuchen, wie sich Wissenschaft und Praxis miteinander verbinden lassen, um zu tragfähigen Lösungen zu gelangen. Und dies ist kein leichtes Unterfangen. »Es gibt unterschiedliche Vorstellungen der Landnutzung. Und es gibt immer Leute, die gewinnen und Leute, die verlieren «, sagt Zscheischler.
Solarmodule, unter denen Kühe weiden, regionale Kulturlandschaften als Marke oder Blühstreifen als Lebensräume für Pflanzen und Tiere – es gibt viele Ideen neue Wege zu beschreiten. Mit fachlichem Input, Vernetzung und Coaching gehen die Innovationsgruppen die Herausforderungen an, um ein zukunftsorientiertes Landmanagement zu etablieren, das sparsam mit der Ressource Land umgeht. »Das rational erarbeitete Wissen der Wissenschaft und das eher erfahrungsbasierte Wissen der Menschen vor Ort fließen hier ein«, erklärt Sebastian Rogga. An der Schnittstelle dieser beiden Wissensformen sei das Potenzial für Innovationen besonders hoch.
Der »Heuofen« ist nun das Ergebnis eines solchen Prozesses, der in Fachkreisen »transdisziplinär« genannt wird. Doch warum, in aller Welt, steht ein Ofen im Spreewald, in dem Heu verbrennt? Was zunächst seltsam klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Es geht um Landwirtschaft und Naturschutz, um Tourismus und Feuchtwiesen. Und um eine Landschaft im Wandel.
Feuchtwiesen in Gefahr
Wiesen und Auwälder, durch die sich unzählige kleine Bäche und Flüsschen ziehen, Orte, die nur mit dem Boot erreichbar sind – das ist der Spreewald, den jährlich über eine Million Touristen bewundern. Es ist eine Landschaft, die der Mensch über Jahrhunderte prägte und formte. Mit künstlich angelegten Fließen wurde einst der Wasserspiegel gesenkt, um das sumpfige Land des Spreetals urbar zu machen. Das Heu auf den Wiesen, die meist nur wenige Hektar umfassen, wurde per Hand gemäht, um es auf ortstypischen Heuschobern zu trocknen und an das Vieh zu verfüttern. In der DDR erfuhr das Land eine enorme Intensivierung. Das Milchvieh stand auf den Weiden, der Wasserspiegel wurde noch einmal drastisch abgesenkt.
Mit der Wiedervereinigung erhielt der Naturschutz eine größere Bedeutung im Spreewald. Das Wasser erhielt wieder mehr Freiraum, um die einzigartigen Feuchthabitate, in denen seltene Wiesenbrüter wie der Kiebitz oder die Bekassine heimisch sind, zu erhalten. Doch mit dem Wasserspiegel stieg auch der Unmut der Landwirtinnen und Landwirte. Denn die ohnehin kaum rentablen kleinteiligen Flächen sind seitdem nur noch in trockenen Zeiträumen zu bewirtschaften. Schilf und Seggen erobern nach und nach die Wiesen und machen das Heu als Viehfutter nutzlos. Nun droht das Grünland zu verbuschen. An einigen Stellen sind die Veränderungen bereits sichtbar: Erlen und Grauweiden besiedeln erste Wiesen. Geht es so weiter, wird das Land zum Auwald. Damit verschwinden neben der Kulturlandschaft aber auch die Auwiesen – und mit ihnen viele gefährdete Tiere und Pflanzen.
»Einige Landwirte sind verärgert«, weiß Maria Busse. In der Innovationsgruppe »ginkoo« sucht sie seit 2014 nach einer Lösung für das Problem. Der Weg dorthin ist weit. Im Spreewald hat sie damit begonnen, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Begleitet von der Wissenschaft sondieren Landwirtschaft, Naturschutz, Tourismusbranche und Gemeinde gemeinsam, wo der Schuh drückt und versuchen, sich anzunähern.
»Ich möchte Landwirt sein, und nicht Landschaftspfleger«, so bringt Jana Zscheischler die Meinung vieler Landwirte auf den Punkt. Landwirtschaft und Naturschutz haben häufig unterschiedliche Interessen, sitzen aber dennoch in einem Boot. Hinzu kommt die Tourismusbranche, die ebenfalls ein großes Interesse daran hat, die reizvolle Kulturlandschaft zu erhalten.
Neue Chancen durch thermische Nutzung
Nun ist mit dem »Heuofen« eine Teillösung des Problems in Sicht. Die Feuchtwiesen bleiben erhalten, indem sie weiter bewirtschaftet werden. Das Heu kann neben der Nutzung als Viehfutter nun auch als Heizmaterial dienen. Die Pilotanlage in Göritz versorgt bereits den gesamten Betrieb auf dem sie steht in den Wintermonaten mit Wärme aus Spreewaldheu. Auch wenn der Ofen technologisch noch verbessert werden muss, scheint das Konzept aufzugehen. »Der Rohstoff ist günstig und lokal verfügbar. Darin liegt ein großes Potenzial für die Region«, betont Michael Petschick, der als stellvertretender Leiter des Biosphärenreservates Spreewald den Konflikt und die Lösungsversuche hautnah miterlebt. Er kann sich gut vorstellen, dass sich das Spreewaldheu als Wärmequelle lokal etabliert und nicht nur Bauernhöfe, sondern auch Hotels oder Schulen versorgt.
Maria Busse erforscht nun, was die Menschen der Region von der Idee eines »Heuofens« halten. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sie mitmachen? Über mehrere Wochen hinweg besuchte die Wissenschaftlerin regelmäßig den Spreewald, um die Landwirtinnen und Landwirten vor Ort zu treffen und zu befragen. Sie wollte erfahren, wie Anreize für Innovationen geschaffen werden können, ob und warum die Menschen neue Ideen akzeptieren und wie man sie am besten einbindet. Die Konzepte, die Busse entwickelt, sollen auch auf andere Probleme und Regionen übertragen werden können.
Ihre Gespräche zeigten: Die Entscheidungen werden auch von ethischen Fragen bestimmt. Das Heu einfach verbrennen? Einen Rohstoff, mit dem man eigentlich Tiere füttern könnte? Dieser Gedanke schreckt einige ab. Andere brauchen Zeit und Argumente, um sich damit anzufreunden. »Den Leuten ist es wichtig, dass ihnen auch mal zugehört wird und dass sie ihre Probleme äußern können«, sagt Busse. Dialog und Kommunikation sind ihre wichtigsten Instrumente. »Nur dann können Ideen auch umgesetzt werden.«
»Nur mit der Wissenschaft, ohne den großen Erfahrungsschatz der Praktiker, wären wir hier komplett gescheitert«, gibt sie zu. Die Landnutzung ist eine komplexe Angelegenheit, deren Probleme nicht häppchenweise und nur von außen lösbar sind. Es braucht Menschen, die die Region seit ihrer Kindheit kennen, die Veränderungen erlebt haben und diese beschreiben können, die täglich hier arbeiten. Mit ihrer Hilfe entwickeln die Forschungsteams eine Roadmap für nachhaltige Landnutzung und können dabei immer auch die lokalen Herausforderungen berücksichtigen. Doch auch im Spreewald gibt es bei allem Optimismus noch vieles, das ungeklärt ist.
Der Ofen bullert dennoch vor sich hin und schöpft Wert aus einem Stoff, der scheinbar wertlos schien. Aber: »Es ist offen, wie es weitergeht«, betont Zscheischler. Vielleicht wird der Ofen sich eines Tages als wenig praktikabel oder effizient entpuppen. Vielleicht wird er noch weiterentwickelt und das Spreewälder Heu der Feuchtwiesen wird zu einem wichtigen lokalen Energieträger. Was jedoch mit Sicherheit bleibt, sind die jungen Netzwerke, die sich herausgebildet haben und die auch weiterhin Anregungen und Impulse in die Region tragen werden. »Dieser Prozess wird nie abgeschlossen sein«, sagt Maria Busse. Das Team am ZALF wird sie auf diesem Weg weiter begleiten.
Text: Heike Kampe
Das Team
Sebastian Rogga, Maria Busse und Dr. Jana Zscheischler arbeiten in der Arbeitsgruppe »Co-design von Wandel und Innovation«, die am ZALF zu Innovationsprozessen im Landmanagement forscht.
Infomaterial und weiterführende Informationen: