Citizen Science - Chancen und Risiken der Bürgerwissenschaften
Frau Hampf, für Ihr Citizen Science Projekt
zu Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall
in der Landwirtschaft lassen Sie Daten
von tausenden Freiwilligen mit Hilfe einer
Smartphone-App sammeln. Was genau macht
Wissenschaft zu »Citizen Science«?
Citizen Science meint die aktive Beteiligung von
Bürgerinnen und Bürgern an wissenschaftlicher
Forschung. Das kann von einer kurzzeitigen
Datenerhebung bis hin zur intensiven Mitarbeit
im gesamten Forschungsprozess reichen. Der
Begriff stammt aus dem anglo-amerikanischen
Raum und wird im Deutschen oft mit »Bürgerwissenschaften
« übersetzt. Typische Citizen
Science Projekte sind großräumig angelegte
Projekte aus dem Umwelt- und Naturschutzbereich,
wie zum Beispiel Vogelzählungen.
Welche Vorteile ergeben sich durch diese Art
Projekte für die Wissenschaft?
Ein großer Vorteil ist natürlich, dass durch
die Einbeziehung der Bevölkerung innerhalb
kurzer Zeit weit größere Datenmengen erhoben
werden können. In unserem Projekt im südlichen
Amazonasgebiet in Brasilien erhalten wir zum
Beispiel an die 1.000 Fotos pro Monat. Mit deren
Hilfe können wir die Verbreitung von Pflanzenkrankheiten
und Schädlingen im Bundesstaat
Mato Grosso kontinuierlich verfolgen, eine Fläche
so groß wie Frankreich. Es findet durch solche
Projekte auch ein verstärkter Austausch mit der
Gesellschaft statt. Das Interesse der Bevölkerung
an wissenschaftlicher Arbeit wird gestärkt, während
die Forschung von den Erfahrungen und
dem lokalen Wissen der Bevölkerung profitiert.
Wie man belastbare Daten erhebt, wird in der
wissenschaftlichen Praxis exakt vorgeschrieben.
Kann deren Qualität dennoch sichergestellt
werden, wenn die Erhebung durch motivierte,
aber zumeist ungelernte Freiwillige stattfindet?
Die Qualität der erhobenen Daten und die Einhaltung
wissenschaftlicher Standards ist eine der
größten Herausforderungen von Citizen Science
Projekten. Nicht jede wissenschaftliche Arbeit
eignet sich dazu. So machen zum Beispiel sehr
komplexe und zeitaufwendige Messmethoden die
Ergebnisse leichter anfällig für Verzerrungen.
Wie entstehen diese Verzerrungen?
Eine Verzerrung von Daten kann einerseits
dadurch entstehen, dass diese nicht präzise
erhoben wurden oder aus Unkenntnis z. B. eine
Vogelart falsch bestimmt wird. Allerdings wird
davon ausgegangen, dass durch die Menge der
Daten diese Fehler wieder ausgeglichen werden.
Im Versuchsdesign gilt es daher darauf zu achten,
mögliche Fehlerquellen von Beginn an gering zu
halten, etwa durch entsprechende Schulungen der
mitforschenden Bürgerinnen und Bürger.
Wissenschaftliche Ergebnisse sind häufig nur
akademischen Kreisen vorbehalten. Sehen
Sie Citizen Science Projekte in einer besonderen
Verantwortung, ihre Ergebnisse frei zugänglich
zu machen?
Ja, definitiv. Ich finde, dass hier die Wissenschaft
mehr denn je ihre Ergebnisse der Bevölkerung
frei zur Verfügung stellen sollte. Das kann in
Form eines kostenlos zugänglichen Fachartikels
oder durch Publikationen in Zeitungen und
den sozialen Medien erfolgen. Wichtig ist dabei,
dass die Ergebnisse auch wirklich verständlich
dargeboten werden. Bei der Veröffentlichung
von Daten muss allerdings auf die Wahrung von
Persönlichkeitsrechten und den Datenschutz
geachtet werden.
Anna Hampf
ist seit dem 1. August 2014 Doktorandin am
Institut für Landschaftssystemanalyse am ZALF. Sie
forscht zu den sozio-ökonomischen Faktoren von
Ertragslücken im südlichen Amazonasgebiet, den
Auswirkungen des Klimawandels auf Nutzpflanzen
und zu Ertragsverlusten durch Pflanzenkrankheiten.
Das Interview führte Tom Baumeister
Infomaterial und weiterführende Informationen: