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Schafe zählen gegen Staubstürme

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​​​​​Über die weiten Grassteppen der »Inneren Mongolei« im Norden Chinas fegen jedes Frühjahr Staubstürme, deren Intensität von Jahr zu Jahr zunimmt. Sie tragen riesige Staubmengen tausende Kilometer weit bis nach Peking und darüber hinaus. Sechs Jahre lang hat ein deutsch-chinesisches Gemeinschaftsprojekt die Ursachen untersucht. Der Forscher Dr. Carsten Hoffmann hat die Ergebnisse jetzt erstmals zusammengeführt, um konkrete Lösungsstrategien anzubieten.

Hunderte von Jahren zogen die Nomaden der »Inneren Mongolei« mit ihren Viehherden über das Grasland. In den heißen Sommern grasten die Herden auf den kühlen Hochplateaus, in den eisigen Wintern zogen sie in die schützenden Täler. Etwas anderes als diese stark eingeschränkte Viehzucht ließen der geringe Niederschlag und die extremen Temperaturunterschiede der Steppe nicht zu. Vor 70 Jahren, als die »Innere Mongolei« eine Provinz Chinas wurde, etablierten sich neue Formen der Tierhaltung. Das Land wurde parzelliert, Siedlungen gebaut. Schafe und Rinder werden seitdem auf eingezäunten Weiden gehalten. Die Grassteppen der »Inneren Mongolei« sind mit einer Fläche von über 1 Mio. Quadratkilometern heute das größte der fünf Viehzuchtgebiete Chinas. Doch die Intensivierung hat ihren Preis: Die Weideflächen veröden zunehmend. Früher bremsten die zum Teil mannshohen Gräser die Staubstürme aus der angrenzenden Wüste Gobi. Heute fegen sie ungehindert über das Land. Zusätzlich lässt die Verödung die Steppe selbst zur Quelle für Staubemissionen werden − mit weitreichenden Folgen. Im März 2002 lud ein gigantischer Sturm mehr als 30.000 Tonnen Sand und Staub über Peking ab, das waren etwa zwei Kilogramm pro Einwohner.

 

Internationale Zusammenarbeit zur Lösung eines globalen Problems

Ähnliche Herausforderungen lassen sich heute an vielen Orten der Erde beobachten. Weltweit werden 1877 Mega-Tonnen Staub im Jahr durch Winderosion aufgewirbelt und oft hängt dies mit einer Übernutzung von sensiblen Trockengebieten wie der Steppe zusammen. Die Staubstürme der »Inneren Mongolei« zogen daher schnell die Aufmerksamkeit der internationalen Wissenschaft auf sich. Um den Einfluss der intensiven Viehzucht zu untersuchen, wurde 2004 das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte deutschchinesische Gemeinschaft sprojekt »MAGIM« gestartet. Sechs Jahre lang haben rund 40 Forscherinnen und Forscher beider Länder verschiedene Aspekte der Schafweidewirtschaft in zehn Teilprojekten untersucht. So wurde u. a. der Einfluss auf Bodenphysik, Pflanzenwachstum, die Artenzusammensetzung, das lokale Klima und den Wasserhaushalt erforscht. Auch Dr. Carsten Hoffmann vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. fliegt als Doktorand immer wieder zum über 500 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet. In seinem Gepäck hat er Messtechnik zur Erfassung der Winderosion. »Im Frühjahr 2006 untersuchte ich einen 147 ha großen, brachliegenden Acker, der von gut erhaltenem Grasland umgeben war«, berichtet Hoffmann. »Auffällig war ein hoher Sandwall am östlichen Rand des Ackers. Als die Frühjahrsstürme begannen, wuchs der Wall sichtbar an, denn die aufgewirbelten gröberen Bodenpartikel blieben daran hängen. Feinpartikel hingegen flogen über den Wall hinweg und wurden von der Fläche wegtransportiert. « Mit seinen Messgeräten findet er heraus, dass der so zu Stande kommende Bodenverlust rund 136 Tonnen pro Hektar beträgt. »Stellen Sie sich als Vergleich ein Fußballfeld vor, von dem man in nur einem Frühjahr zehn LKW fruchtbaren Feinboden abtransportiert«, erklärt Hoffmann. »Auf dem angrenzenden grasbedeckten Weideland haben wir nur durchschnittliche Staubemissionen von bis zu 2,5 Tonnen pro Hektar gemessen.« Die Werte stiegen jedoch mit zunehmender Weideintensität an. Sehr stark beanspruchte Flächen zeigten schon Verlustraten von kritischen 5 Tonnen pro Hektar, was sie neben Ackerflächen zu »Hot Spots« für Staubemissionen macht.

 

Vom Datensammler zum Datenmanager

Das Projekt »MAGIM« wird ein Erfolg. Die Einzelergebnisse erscheinen in mehr als 130 Veröffentlichungen und werden bislang fast 3000 Mal zitiert. Am ZALF führte Dr. Hoffmann die Ergebnisse aller Teilprojekte nun erstmals in einem Forschungsartikel zusammen: »Ich fand es spannend, die Erkenntnisse der anderen mit meinen zu vergleichen und brauchbare Strategien für die Menschen vor Ort zu entwickeln: Wann dürfen die Schafe auf die Weide, wie viele Schafe pro Fläche sind noch nachhaltig? Obwohl jeder von uns einen anderen Aspekt untersuchte, kamen wir alle zu ähnlichen Ergebnissen.« Durch intensive Beweidung verdichtet sich der Boden. Die Speicherung von pflanzenverfügbarem Wasser nimmt um rund ein Drittel ab. Dadurch werden die Wurzeln kürzer und schwächer − es wächst weniger nach. Die biologische Vielfalt sinkt rapide. Durch Winderosion geht immer mehr fruchtbarer Boden verloren, was die Regeneration der Pflanzendecke weiter erschwert. Eine weitere Beobachtung zielt auf die Klimabilanz: Der zuvor über Photosynthese in den Gräsern gebundene Kohlenstoff wird durch die intensive Tierhaltung als Methan und Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Dies geschieht in solchen Mengen, dass betroffene Steppengebiete in der Bilanz zu Treibhausgasemittenten werden. Dennoch müsse man nicht komplett auf Viehhaltung verzichten, so Hoffmann: »Die Intensität der Beweidung sollte an die Niederschlagsmengen angepasst werden, denn davon hängen das Futterangebot und die ökologische Widerstandsfähigkeit des Graslandes ab. In feuchteren Jahren können die Tiere wie gewohnt auf der Weide grasen. Die günstigen Bedingungen sollten aber auch genutzt werden, um verstärkt Heu zu produzieren, wobei ein wenig Stickstoffdüngung zu empfehlen ist, da auf den entsprechenden Flächen die Nährstoffzufuhr durch Tierausscheidungen fehlt. In trockenen Jahren müsste man die Beweidung auf weniger als zwei Schafe pro Hektar reduzieren und stattdessen den Tieren im Stall Heu zufüttern. Einzelne Weideflächen könnte man zusätzlich schonen, indem die Herden regelmäßig zwischen abgegrenzten Bereichen rotieren.« 

Mit dieser Lösungsstrategie, so Hoffmann, lässt sich eine weitere Verödung des Graslandes verhindern. Nun gilt es nur noch, die Akteure vor Ort von einer neuen Bauernregel zu überzeugen: Schafe zählen gegen Staubstürme.​​

 

Text: Jana Schütze

 

Infomaterial und weiterführende Informationen:

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